Es war einmal eine Frau namens Anja Müller, die als Buchhalterin in einem kleinen Bauunternehmen in einem bescheidenen Büro am Stadtrand von Berlin arbeitete. Ihr Leben war alltäglich, und das Gehalt reichte gerade so für die Miete und ein paar Croissants am Sonntag. Doch tief in ihrem Herzen brannte der Traum, endlich ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Abends, wie viele ihrer Kollegen, kämpfte sie sich durch verschiedene Finanzsoftwares und las alles, was sie über Business-Strategien finden konnte.
Eines Tages, völlig unerwartet, kam Klaus Schneider in ihr Leben. Ihre gemeinsamen Freundinnen hatten sie zu einer Feier im Grünen eingeladen. Klaus arbeitete als Verkaufsleiter in einem Autohaus, verdiente ganz ordentlich und wusste, wie man charmant auftritt. Seine Einladungen zum Abendessen, die bunten Blumensträuße und die gemeinsamen Kinoabende führten dazu, dass sie ein Jahr später heirateten.
Die ersten Monate waren wunderbar. Anja bildete sich in ihrer Karriere weiter und begann, Geld für ihr eigenes Projekt zu sparen. Klaus war von ihrem Ehrgeiz jedoch wenig begeistert und meinte nur: „Lass das Spielen mit deinen Geschäftsideen, Schatz. Hauptsache, das Abendessen ist pünktlich.“
Doch dann brachen die Zeiten im Autohaus plötzlich ins Wanken. Die Verkaufszahlen sanken, und die Gehälter wurden gekürzt. Klaus kam immer gestresster nach Hause und verärgerte sich über die kleinsten Dinge. Anja ignorierte seine Launen. Schließlich hatte sie die Beförderung zur Finanzleiterin erhalten und verdiente nun doppelt so viel wie er. Das nahm ihm jeden Wind aus den Segeln.
Abends schien der Aufenthalt in der Wohnung zu einem ständigen Wettbewerb um Schweigen zu werden. Klaus saß oft mit seinem Handy im Wohnzimmer und ignorierte sie absichtlich. Wenn sie von ihren Erfolgen erzählen wollte, schnitt er das Gespräch kurz ab und ging zum Rauchen auf den Balkon. Als sie sich schließlich einen neuen Laptop kaufte, knallte er die Tür hinter sich zu und haute zu seinen Freunden ab. „Das sind die Finanzen, die du da verschenkst, hm?“ gab er am nächsten Morgen von sich. „Das sind meine Finanzen, Klaus. Ich habe sie erarbeitet“, stellte sie kühn klar. Er warf eine Tasse in die Spüle und machte sich auf zur Arbeit.
Der Moment der Wahrheit kam mit einer Einladung zu einer Firmenfeier. „Dresscode: festlich. Teilnahme am Event ist Pflicht, mit Partnern“, stand im Schreiben der Personalabteilung. Anja ahnte schon, dass das nicht gut gehen würde, wollte sich aber nicht drücken lassen. Doch ihre Chefin, Frau Schmidt, insistierte: „Du bist jetzt unser Gesicht, Kind. Du musst dich entsprechend präsentieren.“
Die Feier fand in einem charmanten Restaurant am Gesundbrunnen statt, und die Firma hatte sich den gesamten zweiten Stock gemietet – dreißig Leute, abgesehen von ihren Partnern. Anja war nervös, denn es war ihre erste Feier als Finanzchefin. Sie entschied sich für ein einfaches schwarzes Kleid und flache Schuhe – sie hatte nie das Bedürfnis, im Mittelpunkt zu stehen.
Klaus war auf dem Weg dorthin außergewöhnlich mürrisch. Zuerst war es der Verkehr, dann die Parkplatzsuche und schließlich entblößte sein neuester Anzug eine Krawattenkrise. Anja schwieg – sie hatte sich an seine Launen in den letzten Monaten gewöhnt. Seit die Probleme im Autohaus begannen, war er zu einem wütenden Vulkan geworden.
Der Abend begann vielversprechend. Der Geschäftsführer, Herr Fischer, hielt eine Rede über die Erfolge des Unternehmens und überreichte Auszeichnungen an die besten Mitarbeiter. Anja erhielt eine besondere Anerkennung für die Einrichtung eines neuen Finanzsystems, das dem Unternehmen Millionen gespart hatte.
„Und jetzt möchte ich einen Toast auf unsere neue Finanzchefin aussprechen“, hob Herr Fischer sein Glas. „Anja kam vor drei Jahren als einfache Buchhalterin zu uns. Aber durch ihren Fleiß und ihren Verstand hat sie uns allen gezeigt, dass sie Großes erreichen kann. Herzlichen Glückwunsch! Und zu einer saftigen Gehaltserhöhung!“ Er zwinkerte.
Applaus brach aus. Die Chefin umarmte Anja und flüsterte: „Du hast es dir wirklich verdient, meine Liebe.“ Ihre Kollegen lächelten ehrlich – Anja war im Team geschätzt.
Doch dann fragte jemand: „Was verdient eine Finanzchefin eigentlich?“
Herr Fischer, bereits leicht beschwipst, winkte ab: „Eine anständige Summe! Anja erhält jetzt so viel im Monat, wie andere in einem halben Jahr verdienen.“
Klaus, der bisher stumm seine Häppchen kaute, richtete sich abrupt auf. Sein Gesicht geriet in Rage – nicht vor Scham, sondern vor Wut.
„Was gibt es da zu feiern? Dokumente hin und her schieben! Ich arbeite hier im Autohaus…“
„Liebling, vielleicht ist das nicht nötig?“, versuchte Anja vorsichtig, ihn am Ärmel zu berühren.
„Doch, das ist nötig!“ Er schlug ihre Hand ab. „Warum verbeugt ihr euch alle vor ihr?“
Anja bemerkte, wie sich auf seiner Wange ein Muskel zusammenzog – ein sicheres Zeichen für Ärger. Diese Miene kannte sie schon von seiner Absetzung im Job.
„Denkst du, sie ist etwas Besonderes? Sie weiß nur, wie man sich bei den Chefs gut stellt! Während ich täglich für die Autos kämpfe…“ Anja, ich flehe dich an, versuchte sie erneut zu schlichten.
„Na toll, und was ist mit Klaus?“, wandte er sich plötzlich an sie. „Merkst du das nicht? Du sitzt in deinem schicken Büro, tippst an deinem Computer und bist plötzlich der große Star! Und ich bin jetzt nichts?“
Anja spürte das Schamgefühl ihrer Kollegen am Tisch. Klaus fuhr fort:
„Vielleicht sollte ich ganz aufhören zu arbeiten? Haha! Lustig! Ich habe ja eine Frau – die Milchkuh!“
Das Geräusch des Glases, das gegen den Teller schlug, war wie ein Schuss. Frau Schmidt wurde blass, Herr Fischer runzelte die Stirn. Ein junger Kollege, der immer die besten Witze im Raucherraum erzählte, erhob sich plötzlich:
„Du solltest dich entschuldigen, mein Freund.“
Klaus wurde noch roter:
„Vor wem? Vor ihr?“ Er deutete auf Anja. „Ohne mich wäre sie nichts! Ich habe ihr alles beigebracht!“
„Was hast du ihr beigebracht, Klaus?“, sprach Anja leise, doch alle schwiegen, um ihr zuzuhören. „Wie man schweigt, wenn es wehtut? Wie man lächelt, wenn einem übel ist? Wie man so tut, als ob alles in Ordnung ist?“
Sie stand auf und richtete ihr Kleid:
„Danke, wirklich danke. Du hast mir viel beigebracht. Zum Beispiel, dass manchen Männern keine Frau, sondern ein Fußmatte genügt. Um sich die Füße daran abzuwischen.“ Sie drehte sich um und ging zur Tür. Hinter ihr hörte sie Geräusche – anscheinend hatte Dima Klaus doch einen verpassen müssen. Aber sie schaute nicht zurück.
Im Taxi weinte Anja nicht. Sie schaute aus dem Fenster auf das nächtliche Berlin und dachte, wie gut es war, dass sie ihm nicht das Kind geschenkt hatte. Wie richtig es war, auf sich selbst zu bestehen und weiterzuarbeiten. Wie wichtig es war, die Worte „Milchkuh“ zu hören, um endlich aufzuwachen und nicht länger zu heucheln.
Anja erwachte um sechs. Ihr Kopf dröhnte nicht vom Alkohol, sondern von Gedanken. Klaus schlief noch auf dem Sofa, der Geruch von Alkohol war deutlich zu riechen. Auf dem Couchtisch lagen eine leere Flasche Cognac und ein umgefallener Bilderrahmen mit ihrem Hochzeitsfoto.
Sie holte vier große Müllsäcke aus dem Abstellraum und begann, seine Sachen einzupacken.
Um neun klingelte es an der Tür. Klaus regte sich gerade auf dem Sofa. „Was… was ist hier los?“ Sein verwirrtes Gesicht zeigte ehrliches Unverständnis. „Ich wechsel die Schlösser“, antwortete Anja ruhig, während sie die Tür für den Handwerker öffnete. „Warum das?“, wollte Klaus wissen. „Damit du hier nicht mehr zurückkommst.“
Er setzte sich abrupt auf:
„Meinst du das ernst? Wegen gestern? Ich habe nur übertrieben!“
„Nein, Klaus. Nicht wegen gestern. Deine Sachen stehen vor der Tür. Die Unterlagen habe ich in der Seitentasche deiner Tasche verstaut. Die Schlüssel kannst du hierlassen.“
Während der Handwerker mit dem Schloss beschäftigt war, zog Klaus schweigend seine Kleidung an. An der Tür drehte er sich um:
„Du wirst es bereuen.“
„Das werde ich nicht,“ erwiderte Anja.
Die Scheidung verlief schnell und still. Anja tauchte völlig in ihre Arbeit ein. Klaus erschein plötzlich – unangekündigt in ihrem Büro:
„Hör mal, es ist so… Ich wurde gefeuert. Vielleicht kannst du mich ja wieder einstellen? Ich bin es schließlich…“
„Ehemaliger Mann?“ Anja sah von ihrem Laptop auf. „Tut mir leid, aber wir haben nur ein weibliches Team. Unternehmenspolitik.“ Er stand noch eine Minute vor der Tür:
„Weißt du, ich war damals unüberlegt. Du hast es echt geschafft…“
„Danke,“ lächelte sie. „Mach die Tür zu, bitte. Und schick deinen Lebenslauf an die Personalabteilung, sie antworten jedem.“
Das Telefon klingelte – ihre jüngere Schwester:
„Anja, kannst du es glauben? Ich wurde auch genommen! Ich bin jetzt ebenfalls Finanzmanagerin!“
„Herzlichen Glückwunsch, Kleine!“ Anja lächelte. „Mach dich bereit, da wird viel Arbeit auf dich zukommen.“
„Ich schaffe das! Ich habe ja dich – du bringst mich durch alles!“
„Ich werde dich lehren,“ sagte sie, während sie das Bild auf dem Tisch ansah, als sie und ihre Schwester noch ganz klein waren. „Das Wichtigste ist nur: Lass dir niemals von jemandem erzählen, du seist eine Milchkuh.“
Am anderen Ende ertönte herzhaftes Gelächter:
„Das wirst du mir auf jeden Fall beibringen! Sag mal, sollen wir zusammen etwas gründen? Unser eigenes Geschäft?“
„Vielleicht,“ Anja griff nach ihrer Tasche. „Komm am Wochenende vorbei, dann besprechen wir das.“
Sie verließ das Büro und machte sich auf den Weg zur U-Bahn. Die Menschen eilten ihr entgegen – müde, grantig, jeder mit seiner eigenen Geschichte. Anja wusste, dass unter ihnen viele waren wie sie – die nicht Angst hatten, einen Neuanfang zu wagen. Die an sich glaubten. Die lernten, „Nein“ zu sagen.
Zu Hause zog sie als Erstes ihre Schuhe aus, stellte den Wasserkocher an und öffnete ihren Laptop. Sie skizzierte ein Projekt für ihr gemeinsames Unternehmen mit ihrer Schwester – etwas Einfaches und Nützliches, ohne Überheblichkeit. Vielleicht Buchhaltungsseminare für Unternehmensgründer? Oder Beratungen für Frauen, die ihr eigenes Geschäft aufziehen wollten?
Draußen regnete es. Anja hüllte sich in eine Decke und lächelte in Gedanken. Morgen wird ein neuer Tag. Und er wird ganz sicher besser als der vorige.
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