Es war einmal ein kleines Dorf, mehr ein Weiler, der sich auf einem Hügel zwischen Mooren und Preiselbeeren erhob. Vier Höfe mit grauen, regennassen Schindeldächern duckten sich unter mächtigen Eichen, weshalb der Ort auch Eichenhof genannt wurde.
In Eichenhof lebten nur elf Seelen. Die Menschen bestritten ihr Leben mit Landwirtschaft, Jagd und Fischfang. Der wohlhabendste unter ihnen war Heinrich Bauer, ein geiziger, aber hart arbeitender Mann. Mit fast sechzig Jahren war er noch stark und zäh. Jenen Herbst hatte er, nicht allein, sondern mit seinem jüngsten Sohn Fritz, gut fünfzehn Zentner Preiselbeeren gesammelt.
Fritz war achtzehn, ein leichtsinniger Bursche, der keine Lust auf die Feldarbeit hatte. Seine beiden älteren Brüder lebten in München und hatten seit drei Jahren nicht mehr die Heimat besucht. Eines Morgens kam Fritz spät nach Hause und sagte zu seinem Vater: “Schick die Hochzeitsboten nach Seerosen, Vater.” – “Zu wem denn?” knurrte Heinrich. – “Zu den Meyers, zu ihrer Lotte.” Und weil er den jähzornigen Charakter des Vaters kannte, fügte er hinzu: “Wenn du nicht hingehtst, lauf ich mit ihr in die Stadt zu meinen Brüdern.”
Heinrich fand keinen Gefallen an Fritz. Er war zu leichtfertig, kein Bauer. Wenn auch er fortging, bliebe Heinrich allein mit der Wirtschaft. Seine alte Frau Margarete war schon lange schwach, von einer Krankheit gezeichnet.
Und dann war da noch Lotte, die Tochter des Trunkenbolds und Faulenzers Karl Meyer. Heinrich hatte sie im Sommer bei der Heuernte gesehen – groß, anmutig, mit einem blonden Zopf bis zur Taille. In ihren grauen Augen lag ein ganzer Abgrund. Was nur fand sie an Fritz? Aber ja, ein solches Mädchen würde jedem Hof zur Zierde gereichen, und Margarete brauchte dringend Hilfe.
Ob kurz oder lang, zu Mariae Geburt wurde Hochzeit gefeiert. Doch schon einen Monat später kam der Einberufungsbefehl, und Fritz musste zum Militär. Bei der Verabschiedung weinte Lotte um ihn, als wäre er schon tot.
Seit Fritz fort war, wurde ihr Leben in Eichenhof unerträglich. Der Schwiegervater ließ ihr keine Ruhe. Zuerst nur scheinbar scherzhaft, kniff er sie im Vorbeigehen oder versuchte, sie zu umarmen, wenn sie die Kuh molk. Einmal, als sie in der Stube den Boden wusch, griff er ihr frech unter den Rock. Sie wagte nicht, sich zu wehren – zu groß war die Scham vor der Schwiegermutter, die hinter dem Vorhang lag.
Doch dann, als Lotte Heu vom Dachboden holte, schlich sich Heinrich von hinten an, warf sie ins Heu und versuchte, sie zu küssen, seinen Atem nach Knoblauch und Schnaps. Seine stachelige Bartstoppeln erstickten ihren Schrei. Sie rang nach Luft, während er schon unter ihrem Rock herumfummelte. Wie sie sich unter seiner Last befreite, wusste sie später nicht mehr. Doch dann packte sie eine Heugabel, richtete sie auf seine Brust und zischte: “Ich stech dich ab, du alter Geißbock! Vergib mir, Herr!”
Von dem Tag an hörte Heinrich mit seinen Zudringlichkeiten auf, aber er suchte fortan jeden kleinen Fehler bei Lotte – nichts war ihm recht. Das Leben wurde ihr zur Hölle.
Sie weinte oft und ging nach Seerosen zu ihrer Mutter, um sich zu beklagen. Doch die konnte nur mitleiden und schickte sie zurück. “Halte durch”, sagte sie. “Wenn Fritz zurückkommt, wird alles gut.”
Auf dem Rückweg kaufte Lotte im Dorfladen Streichhülsche und Gewürze – Lorbeer, scharfen Pfeffer, Senfpulver, alles, was der Schwiegervater verlangt hatte. Widerwillig stapfte sie durch den Schnee zurück nach Eichenhof, grübelnd über ihr hartes Los. Schon drei Monate war Fritz weg.
Gefallen hatte ihr der lustige, schelmische Junge. Zwar gab es im Dorf hübschere Burschen, aber die waren grob und unverschämt. Fritz dagegen war zärtlich, nie hörte man ein böses Wort. Doch ehe sie sich richtig verlieben konnten, war er fort – und nun versuchte der Schwiegervater, an seine Stelle zu treten. “Das darf nicht sein! Ich muss den alten Schurken loswerden – aber wie?”
Vertieft in ihre Gedanken, merkte sie kaum, wie sie nach Eichenhof zurückkam. Heinrich empfing sie mit einem Grummeln – sie war zu lange fort, hatte Falsches gekauft. Nach einem Schluck Milch verschwand Lotte in ihrem Zimmer und verriegelte die Tür.
Am nächsten Tag wurde die Sauna geheizt. Sie stand abseits vom Haus, an einem kleinen Teich. Lotte trug Wasser herbei, entfachte das Feuer. Dann, während sie Hausarbeiten verrichtete, stopfte sie sich eine Tüte scharfen Pfeffer in die Schürzentasche und fügte noch Senfpulver hinzu.
Später, als sie die Sauna vorbereitete, rieb sie die Holzbänke mit Pfeffer ein und schüttete die teuflische Mischung in den Eimer mit dem aufgeweichten Birkenquast. Der beißende Geruch ließ sie niesen, und sie flüchtete hinaus – genau in dem Moment, als Heinrich mit einem Bündel Wäsche ankam.
“Machst du die Sauna kalt, du Luder?”, brüllte er sie an. Lotte trat in den Schnee zurück, ließ ihn wortlos passieren und rannte ins Haus. Hinter der verschlossenen Tür lehnte sie an der Wand, ihr Herz pochte wild. Was würde geschehen? Angst und Triumph kämpften in ihr. “Jetzt kriegst du Hitze, du alter Knorren.”
Heinrich betrat die Sauna. “Verdammtes Weib”, dachte er. Vielleicht hatte sie nicht gelüftet? Er schürte die Glut, goss Wasser über die Steine und streckte sich auf der Bank aus. Zuerst nur wohlige Wärme – dann plötzlich ein Brennen, als wäre er in einen Ameisenhaufen gesessen.
Mit einem markerschütternden Heulen sprang er nackt in den Schnee. Das half – kurDer Winter verging, und als im Frühling endlich ein Brief von Fritz kam, packte Lotte ihre Sachen und verließ Eichenhof für immer, um zu ihm zu ziehen – während Heinrich noch lange mit dem Spott der Dorfleute leben musste, der alte Geizhals, dem ein Mädchen mit scharfem Pfeffer und schlauer List den Marsch geblasen hatte.
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