Bei uns im Büro gab es einen Mann. Nun ja, nicht gerade ein junger Hüpfer – Mitte 30, aber irgendwie… besonders.

Um es direkt zu sagen: Er war von Natur aus nicht der Hellste. Überhaupt nicht. Aber ich hatte ihn vor sechs Jahren eingestellt und es nie bereut. Das Faszinierendste? Er wusste, dass er nicht der Klügste war, und machte kein Geheimnis daraus. Bei seinem Vorstellungsgespräch war sein erster Satz:

„Guten Tag! Ich bin nicht besonders schlau, und ich verstecke es auch nicht. Aber ich brauche den Job, weil meine Mutter Medikamente braucht – sie kann nicht mehr arbeiten.“

Das hat mich erstmal umgehauen, aber ich merkte schnell: Der Mann war einfach anders. Nicht so sehr, dass er keine einfachen Aufgaben bewältigen könnte. Er erinnerte mich an Dustin Hoffmans Figur in „Rain Man“, einem meiner Lieblingsfilme. Ich checkte sofort, mit wem ich es zu tun hatte, und wollte ihn auf keinen Fall verletzen.

„Sie sind schlauer als die meisten Leute, die ihre Dummheit verzweifelt hinter Fassaden verstecken. Ab morgen können Sie anfangen.“

Und so kam er zu uns – wie ein „Sohn des Regiments“. Sechs Jahre lang arbeitete er wie alle anderen. Nicht ganz normal, aber ehrlich, zuverlässig, pünktlich – für mich der beste Mitarbeiter überhaupt. Seine Mutter, die einen Schlaganfall hatte, brachte er wieder auf die Beine. Klar, wir haben mit Medikamenten und Physiotherapie ein bisschen geholfen, aber er hat nie gemeckert. Das ganze Büro liebte ihn wie Familienmitglied. So sehr, dass wir ihn von 75 auf 100 Kilo gemästet haben! Sogar ich sehe mittlerweile aus wie sein Zwillingsbruder.

Aber zurück zum Thema. Vorgestern, als ich nach längerer Abwesenheit ins Büro kam, kam meine Assistentin direkt auf mich zu:
„Thomas kündigt! Vielleicht können Sie ihn überreden zu bleiben? Wie sollen wir ohne ihn klar kommen?“

Ich war platt. Kündigt? Warum? Wohin? Ich bat ihn ins Büro. Zehn Minuten später stand er da, das Kinn fast auf der Brust. Kein Blickkontakt.
„Thomas! Was ist los? Stimmt was nicht? Hat dich jemand angegangen? Sag’s mir, ich feuere die ganze Abteilung!“
„Nein, nein, alles gut. Ich mag sie alle. Nur… also… ich…“
„Red schon! Probleme mit deiner Mutter?“
„Nein, ihr geht’s gut, danke. Ich… ich will heiraten!“

Da hing ich wie ein abgestürztes Windows-Update. Mein erster Gedanke: „Wie, heiraten?“ Aber wer bin ich, so etwas zu hinterfragen? Er ist genauso ein Mensch wie ich, mit denselben Bedürfnissen. Trotzdem… irgendwie beunruhigte mich das.

„Na, das ist doch was Schönes. Hoffentlich will die Braut das auch – falls es schon eine gibt?“
„Ja! Sie lädt mich seit einem Jahr zu sich nach… Schweden ein! Mit meiner Mutter. Sie mag uns beide!“

Huch. Das gefiel mir immer weniger. Einen Autisten… nach Schweden… mit Mutter… was zum Henker?
„Klingt nach einer tollen Frau, wenn sie dich und deine Mama will!“
„Sie ist wunderschön, rothaarig und viel klüger als ich! Hier, ich zeig’ Ihnen ein Foto.“

Und dann zog er ein iPhone 7 aus der Tasche. Wahnsinn! Jahrelang hatte er ein klappriges Nokia, das wir ihm vergeblich abspenstig machen wollten. Selbst das Samsung, das wir ihm zum Geburtstag schenkten, und mein altes Sony, das ich ihm gab, lehnte er ab. Aber jetzt – ein iPhone 7? Bevor ich fragen konnte, erklärte er:

„Das ist von Katharina. Sie hat viele Fotos reingeladen, damit ich sie nicht vermisse.“

In meinem Kopf brodelte bereits ein Alptraum-Szenario: eine schwedische Pamela Anderson aus den 90ern. Doch das Foto schockierte mich. Eine rothaarige Frau mit den typischen Zügen von Menschen mit Down-Syndrom. Ich nenne sie immer „Sonnenschein-Menschen“.

Sie können nichts für ihr extra Chromosom. In vielerlei Hinsicht sind sie uns sogar überlegen. Sie halten uns nicht für dumm, nur weil wir eines weniger haben – obwohl sie jedes Recht dazu hätten. Aber sie sind freundlich, harmlos und lächeln ständig. Und ehrlich gesagt: Ihr Lachen ist echter als das aufgesetzte Grinsen der meisten Leute, die einen hinterm Rücken verfluchen.

„Eine wahre Schönheit! Du hast Riesenglück. Wenn alles so ist, wie du sagst, entlasse ich dich ungern als Chef – aber sehr gerne als Mensch. Falls du einverstanden bist, rufe ich deine Mutter an, kläre die Details und buche euch die Flüge. Deal?“

Thomas war immer fröhlich, aber jetzt strahlte er wie ein Kind an Weihnachten. Klatschte vor Freude in die Hände, rief seine Mutter an und reichte mir das Telefon. Und hier zeigt sich, warum ich Autisten für klüger halte als den Rest von uns: Er ging raus, obwohl er wusste, dass es um ihn ging. Er verstand, dass ich nicht über ihn reden konnte, wenn er dabeistand. Welcher „normale“ Mensch hätte das getan? Keiner. Die meisten hätten gelauscht wie die Luchse.

Warum sollten solche Menschen nicht glücklich sein? Ehrlich gesagt, sind sie es oft mehr als wir. Sie lügen nicht, schreien sich nicht an – aber sie lieben bedingungslos.

Wer ist hier also der Klügere? Die Antwort liegt auf der Hand.

Übrigens: Seine Mutter bestätigte alles. Sie kennt Katharina gut und hat keine Bedenken. Morgen – nein, heute! – um 8 Uhr fahre ich meinen Ex-Mitarbeiter und seine Mutter zum Flughafen. Um 11:25 Uhr geht’s nach Stockholm. Sie werden glücklich sein. Und ich? Ich freu’ mich einfach für sie. Falls alles klappt, fliege ich im März nach Schweden, um meinen fröhlichsten Mitarbeiter zu trauen.

Wenn man diese Menschen ansieht, scheut man keine Mühe, ihr Leben besser zu machen. Und dann schaut man sich den Rest an – diejenigen, die Freundlichkeit als Schwäche auslegen – und denkt: Pech gehabt. Zum Glück gibt’s mehr Gute als Schlechte. Sonst hätte diese kaputte Weltkugel längst aufgehört, sich zu drehen.

Ich hol mir jetzt einen Eimer Kaffee, damit ich den Flug nicht verschlafe.


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