Heute kam ich vom Spaziergang zurück und spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Vorsichtig ging ich durch die Wohnung, jedes Geräusch ließ mich zusammenzucken. Dann sah ich es: Der Schrank war nicht richtig geschlossen, als hätte ihn jemand anders geöffnet. Mein Herz klopfte wild, als ich genauer hinsah. Das kleine Kästchen, in dem ich mein Geld, die goldenen Ringe und die Kettchen aufbewahrte – alles war weg. Betäubt sank ich auf das Sofa, griff mir an den Kopf. Die Tränen kamen erst eine Minute später. Nicht wegen des Geldes oder des Schmucks. Wieder einmal war ich betrogen worden. So einfach, so leichtgläubig. Diese naive Vertrauensseligkeit, die Sympathie, sogar die Liebe…

Gestern hatte ich Flurputzdienst. Als ich hinausging, lehnte ein junger Mann am Geländer.
„Hier wird nicht geraucht“, sagte ich streng. „Jeder hat einen Balkon oder kann nach draußen gehen. Dort steht sogar eine Bank mit Aschenbecher. Und wer bist du überhaupt?“
Er grinste. „Lust, sich zu treffen? Ich bin Paul. Und du?“
„Wie bitte?“, fuhr ich ihn an.
In dem Moment öffnete sich die Tür gegenüber, und Nachbarin Nina lugte heraus.
„Hallo, Lina. Paul, komm schon, wir warten!“ Sie zwinkerte mir zu und zog ihn in ihre Wohnung.
Ich schüttelte den Kopf und machte mich ans Putzen. Kaum war ich fertig, stürmte die lärmende Truppe aus Ninas Wohnung und zog lachend davon.
„Wieder besoffen. So einem Volk geht’s immer gut“, dachte ich.

Eine Woche später klingelte es. Paul stand vor der Tür.
„Hast du einen Dosenöffner?“, fragte er.
„Nein, nur einen Korkenzieher“, knurrte ich.
„Den brauch ich echt nicht. Wir kriegen die Dose auch so auf.“ Er grinste. „Warum bist du so sauer? Einsam oder was? Komm, lass uns treffen…“
Ich knallte die Tür zu.

Alle im Haus kannten Ninas wechselnde Begleiter. Die Nachbarin war Mitte dreißig, jobbte nicht und lud ständich zwielichtige Typen ein. Keiner wollte was mit ihr zu tun haben.
„Unser Pech“, flüsterten die Nachbarn. Nina schien es nicht zu kümmern. Sie lächelte immer, grüßte freundlich und schnitt jeden Vorwurf mit einem Satz ab:
„Bringt euren Enkeln bei, wie man lebt. Ich lern’s schon allein.“
Alle hielten den Mund – sie wussten, mit wem Nina sich rumtrieb.

Am Freitag klingelte es erneut. Als ich öffnete, war niemand da. Doch dann sah ich den Blumenstrauß auf der Matte, eingewickelt in glänzende Folie.
Ich hob ihn auf, blickte mich um und brachte die Blumen ins Wohnzimmer.
„Was soll das? Wer schickt das?“, dachte ich. Trotzdem stellte ich sie ins Wasser, beugte mich hinunter und atmete den Duft ein. Seufz. So lange hatte mir niemand Blumen geschenkt. Oder besser: niemals.
Da klingelte es schon wieder. Paul stand mit einer Torte da.
„Hallo, Lina“, sagte er, als wären wir alte Freunde.
Als ich mit dem Strauß zurückkam, stand er noch immer da.
„Lina, ich will mich entschuldigen.“
„Wofür? Fürs Rauchen im Treppenhaus? Na gut, und jetzt?“
„Ich wünsch dir einfach ein schönes Wochenende.“
„Danke. Jetzt geh schon. Ich vergebe dir pauschal.“
„Warum entscheidest du für mich? Wirfst du mich raus?“, fragte er plötzlich ernst. „Ich war nur zu Gast bei Nina. Sie ist nicht meine Freundin, das sollst du wissen.“
„Echt? Und was geht mich das an?“
„Lina, lass uns Tee trinken. Ich habe Torte mitgebracht, bitte lass mich rein… Nur eine halbe Stunde. Dann geh ich, versprochen. Gib mir die Chance, dir zu zeigen, dass ich kein Lump bin.“

Ich nickte und ging in die Küche, um den Wasserkocher anzuschalten. Irgendetwas überzeugte mich. Vielleicht seine Offenheit, sein Charme… Oder dass ich schon so lange allein war. Über ein Jahr war es her, seit ich mich von meinem Ex getrennt hatte, nach fünf Jahren Beziehung. Ich hatte mich voll auf die Arbeit gestürzt, wollte allein sein, die vergangenen harten Monate vergessen.

Paul erwies sich als guter Zuhörer. Er war witzig und brachte mich sogar zum Lachen. Die versprochene halbe Stunde verflog, wir saßen noch lange bei kaltem Tee und plauderten über alles und nichts.

Als es dämmerte, brachte ich ihn zur Tür – nicht ohne sein Versprechen, morgen mit ihm spazieren zu gehen.
„Alle lernen sich in Bars oder Restaurants kennen“, dachte ich, als ich hinter ihm zusperrte. „Und ich treffe ihn im Hausflur. Komisch…“

Dieses seltsame Gefühl blieb bei den weiteren Treffen. Wir gingen durch Parks, setzten uns in Cafés, besuchten Kinos. Paul zeigte offen seine Gefühle, während ich mich fragte, was ein Typ wie er bei Nina zu suchen hatte.

Doch heute, nach unserem Spaziergang, spürte ich sofort: Etwas stimmt nicht. Ängstlich lief ich durch die Wohnung. Der Schrank stand einen Spalt offen, als hätte ihn jemand durchwühlt. Dann sah ich es: Mein Geld, die Ringe, die Kettchen – alles weg. Ich sackte aufs Sofa, packte meinen Kopf. Die Tränen kamen nicht wegen des Verlusts. Sondern weil ich wieder betrogen worden war. So leichtgläubig, so dumm…

Als ich mich beruhigt hatte, griff ich zum Telefon – doch dann hielt ich inne. Pauls lächelndes Gesicht tauchte vor mir auf. Er hatte mir nie etwas getan, nie böse reagiert. Trotzdem war ich sicher: Er war es. Er musste mir die Schlüssel gestohlen, sich nachgemachte besorgt haben. All seine Geschichten waren Lügen.

Ich begriff meine Naivität – doch verzeihen wollte ich nicht. Die Polizei nahm Fingerabdrücke, protokollierte alles. Ich erzählte von Paul, von Ninas „Freunden“. Die Ermittlungen begannen. Ich ignorierte Pauls Anrufe, öffnete nicht mehr.

Doch eines Tages überredete er mich, ihn anzuhören. Er schwörte, unschuldig zu sein – vermutlich steckten Ninas Gäste dahinter.

Schnell bestätigte sich das. Nina, betrunken, hatte mit einer Freundin zugeschlagen. Das Gold, das Geld – egal. Sie war eifersüchtig, weil Paul mich mochte. Als Jugendlicher hatte er sogar eine Vorstrafe. Ihr Neid machte sie blind.

Vor Gericht wurden Nina und ihre Freundin verurteilt. Die Nachbarn seufzten erleichtert: endlich Ruhe.

Und ich? Ich konnte nicht von Paul lassen. Nachdem alles geklärt war, gaben wir uns eine Chance. Zwei Monate später heirateten wir. Bald zogen wir in eine neue Stadt.

Und das ist die ganze Geschichte.


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