— Genug, Lena!!! Genug!!! – schrie Peter seine Frau an. – Du regst mich auf mit deinem ständigen Gerede über meine Eltern! Meine Brüder! Meine Schwester! Wie lange soll das noch so weitergehen?!
— Wie lange soll das weitergehen?! – fragte sie leiser. – Aber bei ihnen ist es in Ordnung, immer in unsere Familie reinzupfuschen, ja? Und du sagst ihnen nie etwas, oder?
— Ich sage etwas, wenn ich genug davon habe! Aber meine Eltern machen so etwas ganz sicher nicht!
— Ganz sicher nicht?! Die versuchen nun seit fast einem Jahr ständig, in unsere Wohnung zu kommen oder uns Geld abzuluchsen, oder…
— So etwas machen sie nicht! Und dass Jan und Lukas uns mal besucht haben – die hatten doch einfach etwas im Ort zu erledigen! Sollten sie sich etwa eine Wohnung mieten?
— Stell dir vor, normale Menschen machen das tatsächlich! Sie mieten eine Wohnung, ein Hotelzimmer oder was auch immer, anstatt sich mit zwei kräftigen Männern in die kleine Wohnung einer anderen Familie zu drängen! Wir leben hier nicht in einem großen Haus mit Gästeräumen! Wir haben eine Einzimmerwohnung!
— Ach, das ist doch nicht das Problem! Aber ja, für dich ist alles ein Problem, das habe ich jetzt kapiert! Du hast keine Geschwister, du bist in einer egoistischen Familie aufgewachsen! Bei uns wurde von klein auf gelernt, dass man einem Familienmitglied helfen muss, unabhängig…
— Unabhängig von was?! – unterbrach Lena ihren Mann. – Unabhängig von der Größe der Wohnung? Unabhängig von der Meinung der Frau? Unabhängig davon, dass ich hier nicht angestellt bin, um drei Männer zu bedienen?
— Redest du jetzt ernsthaft darüber?..
— Willst du über etwas anderes reden? Na klar! – entgegnete die Frau rücksichtslos. – Als wir Geld für die Hypothek gesammelt haben, brauchte deine Schwester Geld für ihren Zahnarzt, weil sie ihren Mund nicht halten kann und ihr gleich vier Zähne rausgeschlagen wurden… Was hast du gemacht? Richtig! Du hast ihr unsere Ersparnisse gegeben! Und dann…
— Ich habe nicht alles gegeben! Warum schreist du jetzt schon wieder darüber?
— Wenn du alles gegeben hättest, hättest du die gleichen Probleme gehabt wie sie! Glaub mir!
Peter musste lachen, obwohl er eben noch wütend war wie ein Teufel.
— Und wie hättest du das gemacht? – fragte Peter lachend. – Hättest du deinen Daddy gefragt? So wie ich…
— Warum sollte ich jemanden fragen, wenn ich selbst dafür sorgen kann? – Sie griff sich eine Pfanne vom Herd und starrte ihn drohend an. – Ich könnte das alleine schaffen!
— Ich hätte gern gesehen, wie das klappt! Du würdest ganz sicher die Erste sein, die es sich mit ihr verscherzt, und dann würdest du trotzdem wieder jammern! Wenn du überhaupt weit genug laufen könntest… – fügte er leiser hinzu.
— So? „Wenn ich weit genug laufen könnte“?! – fragte Lena ruhiger, aber mit einem verletzten Unterton.
— Du hast damit angefangen, dich aufzuregen und mir zu drohen! Tu jetzt bitte nicht so, als wärst du die arme kleine Maus! – antwortete er. – Du magst nicht, dass ich Familie habe, die ich unterstütze! Du schreist ständig, dass ich von der Familie wegziehe! Und sie sind auch meine Familie! Es ist nicht meine Schuld, dass du es nicht verstehst!
— Und wer bin ich dann für dich? Wie? Nur das Dienstmädchen? Die Hausfrau mit zusätzlichen Vorzügen? Wer?
— Wie „wer“? Du bist meine Frau! Und ich bin dein Mann! Also hör jetzt auf damit, oder unser Ehe hält nicht lange! – Er deutete auf die Pfanne, die Lena immer noch festhielt, um ihn zu schlagen.
— Nur ich fühle mich nicht mehr wie deine Frau, Peter! Es fühlt sich an, als hättest du mich nur geheiratet, um die Hypothek nicht alleine zu tragen, und um einen Rundum-Service für dich und deine Familie zu haben!
— Red keine Dummheiten, bitte! Ich liebe dich, auch wenn du echt gerade einen an der Waffel hast… aber trotzdem…
— Ja, und wer ist schuld daran, dass ich in letzter Zeit so oft durchdrehe? Wer hat das verursacht? Ich?
— Willst du mir wirklich erzählen, dass ich das getan habe? – Er war überrascht und ein wenig verletzt.
— Du und deine Verwandten, die immer über mir stehen! Ich will nur, dass niemand in unser Leben eindringt und wir eine normale Familie haben! Dass wir endlich Kinder haben! Und du…
— Und ich will das nicht, oder was?!
— Offensichtlich nicht!
— Hör auf, wieder so einen Unsinn zu verzapfen, Lena! Du machst dir den Kopf mit all dem, und plötzlich sind alle um dich herum schuld: Ich und meine Familie! Du machst das selbst!
— Natürlich… ich bin schuld daran, dass du nie begreifen konntest, dass DEINE Familie über alles andere geht! Und all das restliche Zeugs… Sie wären ja weiterhin nahe Verwandte, aber sie sind nicht deine Familie mehr!
— Und wie jetzt? Aha! Lass mich nicht mit diesem Stuss kommen, okay?! Sie werden meine Familie bleiben! Und wenn dir etwas nicht passt, Lena, dann vielleicht…
— Was?
— Nichts!!! – schrie Peter wieder seine Frau an. – Lass mich einfach in Ruhe! Ich habe genug!
Er brauste wütend aus der Küche und ließ Lena allein zurück.
Zuerst wollte sie ihm folgen, aber dann blieb sie stehen. Sie wusste, dass der Streit nicht enden würde und dass es vielleicht sogar zur Scheidung kommen könnte. Obwohl sie manchmal auch darüber nachdachte, war sie einfach müde, für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen und sich gegen Peters nervige Verwandte zur Wehr zu setzen. Und während Peter wütend auf Lena war, war es für ihn normal, dass er fast jedes Wochenende aus seiner Wohnung herausgezogen wurde, um zu seinen Eltern auf dem Land zu fahren, um seinen jüngeren Brüdern und auch seiner Schwester finanziell unter die Arme zu greifen. Denn nur Peter war aus der Familie in die Stadt gezogen, alle anderen lebten nach wie vor im Dorf. Und wie Geier schwirrten die anderen um ihn und seine Familie, immer auf der Suche nach einem Stück vom Kuchen, und Peter konnte ihnen nie etwas abschlagen und gab ihnen alles, was er konnte. Manchmal kam es Lena so vor, als würde er auch dann nicht ablehnen, wenn einer seiner Brüder ihn nach ihr fragte. Sie waren schließlich die FAMILIE!
Fast einen Monat nach diesem Streit wollte Peter wieder früh morgens zu seinen Eltern aufbrechen, während Lena noch schlief. Doch bevor er es schaffte, aufzubrechen, wachte sie auf und fragte:
— Und wohin willst du so früh?
— Oh… habe ich dich geweckt? Entschuldige… Ich komme bald wieder!
— Aber du hast meine Frage nicht beantwortet! – forderte seine Frau.
— Ich… meine Mama hat angerufen, Lena! Ich muss dringend kommen, ich bin morgen zum Mittag wieder hier! – Peter begann etwas zu stammeln, doch dann gewann seine Stimme an Zuversicht, damit seine Frau nicht dachte, dass er an dieser Reise zweifelte und sie ihn umstimmen konnte.
— Im Ernst?! – fragte sie genervt. – Zu welchem Mittag? Wir wollten heute auf ein Konzert gehen! Wir haben die Tickets vor einem Monat gekauft! Was ist mit dir los…?
— Geh mit jemand anderem! Mach nicht aus einem Mücken ein Elefant!
— Mit wem?!
— Mit wem auch immer! Was denkst du? Mir ist das egal! Nimm dir eine Freundin mit! Geht weg, lasst euch ablenken! Und ich… Ich habe zuhause ein dringendes Anliegen und kann das nicht auslassen!
— Was für ein Anliegen?
— Das spielt keine Rolle!
— Was für ein verdammtes Anliegen, Peter?! – Lena wurde immer wütender auf ihn.
— Die Freundin von Jule ist gekommen! Sie war viele Jahre lang wie ein Teil unserer Familie, bevor sie nach Berlin gezogen ist! Und jetzt ist sie hier, und wir haben einen Familienabend geplant! Mama hat mich gestern fast in der Nacht angerufen, als du ins Bett gegangen bist, und es mir erzählt!
— Ist das zufällig die Freundin, mit der ihr als ganzen Trupp losgezogen seid?
— Was? Worüber redest du?
— Nun, ich spreche von der Frau, mit der du fast drei Jahre lang zusammen warst und die dich schließlich verlassen hat! Ist sie das?!
Peter begriff, dass seine Frau schon alles erraten hatte und es keinen Sinn machte, das weiterhin zu verstecken.
— Ja! Ja, das ist sie! – gestand er schließlich, seufzend.
— Und du lässt mich jetzt alleine zu Hause, um sie zu treffen? – fragte Lena vorsichtig.
— Ich sagte doch, Mama hat angerufen! Wir haben ein Familienessen geplant! So ist es einfach, Lena! Ich kann Mama doch nicht absagen! Vor allem, wenn es zuhause um so ein großes Ereignis geht…
— Also geh zu deiner Mama, sie wird dir schnell eine neue Frau besorgen, die deinem ganzen familiären Chaos gerecht wird! Sie hat das schon erledigt!
— Was fängst du da schon wieder an? Niemand hat mir irgendwen besorgt, Lena! Du verstehst einfach nicht, was wahre Familie bedeutet und wie die Mitglieder einander in ihr unterstützen sollten!
— Ach ja? Nur habe ich nicht bemerkt, dass dir oder uns irgendjemand mal unterstützt hat! Alle wollen nur das Letzte aus uns herauspressen! Und jetzt wollen sie auch deine alte Flamme wieder für dich anheizen!
— Nichts dergleichen wird dort geschehen, reiß dich zusammen! – verteidigte sich Peter. – Und ich sehe nichts Falsches daran, eine alte Bekannte zu treffen, die…
— Alte Bekannte?! – Lena war empört über diese Beschreibung. – Das ist deine Exfreundin, die dich umworben hat und für die du sogar geschwärmt hast, als du schon mit mir zusammen warst! „Alte Bekannte“, ja? Und ich? Bin ich einfach nur zufällig vorbeigekommen?
— Nun, da ich deine Frau bin, wieso wurde ich nicht zu diesem „Familienessen“ eingeladen, stattdessen ist deine Ex dort?
— Weil sie alle lieben, und dich nicht! So wie mich jetzt auch!!! – schrie Peter zurück, weil ihn Lenas Fragen und Zweifel schon langsam nervten.
— So? – fragte sie leise. – Nun… Was soll’s… Fahr…
— Was? So einfach? Und warum hast du mir dann vorher so einen Stress gemacht? – verstand er nicht, warum seine Frau sich so leicht gab.
— Weil jetzt alles für mich klar ist, Peter! – antwortete sie ihm. – Fahr zu deiner echt Familie, zu deiner geliebten Frau, die dir offenbar mehr bedeutet als ich! Fahr! Ich werde dich nicht länger aufhalten, keine Streitereien oder hysterischen Szenen mehr! Das brauche ich nicht mehr!
— Ich verstehe nicht! Was meinst du damit?
— Bedeutet, ich habe genug von diesen Demütigungen!
— Die einzige, die sich hier erniedrigt, bist du, wenn du so ausrastest, Lena! Das ist nur deine eigene Schuld! Niemand hat dich gezwungen! Wäre der Fall anders und du so freundlich wie Julias Freundin, würde dich auch die Familie akzeptieren! Aber wie ich schon sagte, du bist das klassische Beispiel eines Einzelkindes! Das wirst du nie verstehen!
— Nein, Peter! Ich habe jetzt alles verstanden! Ich dachte früher, ich könnte jemand für dich Bedeutung haben, aber jetzt ist klar, dass du bereits deine „Lieben“ hast! Das sind deine Mutter, deine Schwester und… – sie wollte noch die Freundin von seiner Schwester hinzufügen, entschied sich aber, es anders zu formulieren. – Und auch deine „Prinzessin“! Und ich werde einfach die Scheidung einreichen, um mit eurer verrückten Familie nichts mehr zu tun zu haben! Das reicht!
— Was?! – fragte Peter erschrocken.
— Ganz klar! Mach dich bereit, lass dich nicht ablenken, schau, dass du für deine neue Moskauer Bekannte gut aussiehst! Sonst wird sie dich nicht wieder haben wollen und dich nicht wieder nach Berlin mitnehmen! Was wird dann aus deiner Familie? Wer wird dann noch zu ihnen fahren?
— Versuch nur, eine Scheidung einzureichen! – tobte er sofort. – Dann…
— Und was wirst du mir tun? Rächst du dich? Na, gerne! Deine Familie wird mich hassen? Das ist bereits der Fall!
— Ich werde dich einfach vernichten, Lena! Du wirst sehen…
— Mach das mit ihr, mit der du jetzt zu tun hast! Und zu mir hast du nichts mehr zu sagen! Es ist vorbei!
Kaum hatte sie das gesagt, packte Peter sie am Hals und drückte sie gegen das Bett. Lena konnte keinen Schrei ausstoßen, konnte nichts sagen, sie konnte kaum atmen.
— Ich habe gesagt: Versuch nur, eine Scheidung einzureichen! Ich werde diese Wohnung nicht teilen und keine zusätzlichen Hypotheken aufnehmen! Also hör auf zu quatschen und geh zu deinem Konzert heute Abend, oder ich ersticke dich jetzt, und wenn ich nach Hause komme, rufe ich die Polizei und sage, dass ich nicht zu Hause war und als ich kam, deinen stinkenden Körper fand! Hast du das verstanden?
Doch Lena konnte nichts sagen, egal wie sehr sie versuchte. Just in diesem Moment klingelte das Telefon von Peter. Er ließ sie los, um den Anruf entgegenzunehmen, während sie sich schnell eine Vase vom Nachttisch schnappte und ihm nach hinten auf den Kopf schlug.
Der Schlag ließ Peter bewusstlos werden, und Lena rief sofort die Polizei, erzählte, dass ihr Mann sie gewürgt hatte, und sie ihn geschlagen hatte. Die Beamten kamen überraschend schnell, da sie dachten, sie hätte ihren Mann ermordet. Aber es stellte sich heraus, dass sie ihn nur „ausgeschaltet“ hatte.
Als es an der Tür klingelte, wachte Peter auf, wusste aber nicht, dass es die Polizei war, und stürzte sich auf seine Frau, die gerade die Haustür öffnete. Da wurde er geschnappt. Er hatte keine Chance, Lena mehr zu verletzen, da er von den Beamten festgehalten wurde und sogar versuchte, sich gegen sie zu wehren. Es wurde klar, dass er zu diesem „Familienabend“ nicht gingen würde; er hatte ein anderes „Date“…
Während Peter für eine Weile in Gewahrsam war, nutzte Lena die Gelegenheit, ihre Verletzungen am Hals dokumentieren zu lassen, stellte einen Antrag gegen ihren Mann und reichte die Scheidung mit der Aufteilung des Eigentums ein.
Sie packte auch all ihre Sachen und vereinbarte, eine Weile bei einer Freundin zu wohnen. Sie planten sowieso, für eine Woche in den Urlaub zu fahren, also würde sie niemanden stören und könnte sich auch um die Wohnung kümmern. Um die Katze und den Hund musste sie sich später sowieso kümmern, also war es vielleicht sogar einfacher.
Bei der Ankunft ihrer Freundin war sie bereits geschieden; das Eigentum war zwar noch nicht vollständig aufgeteilt, aber Lena hatte eine Wohnung gemietet und ihre Sachen dorthin gebracht. Peter war außer sich vor Wut darüber, dass seine Frau all das getan hatte, wovor er solche Angst hatte und dass er das lang ersehnte Treffen mit der Liebe seines Lebens verpennt hatte, ohne sie auch nur flüchtig zu sehen.
Nachdem endlich alles aufgeteilt war, zog Peter zu seiner Schwägers Schwester nach Berlin, aber da war er niemandem von Nutzen, und das Mädchen war in einer sehr ernsten Beziehung, die kurz vor der Hochzeit stand. Letztendlich wurde ihm sogar das Übernachten verwehrt, weil ihr Freund entschieden hatte: NEIN!
So blieb Peter ohne eine einzige vertraute Seele in der riesigen Stadt, die er nicht kannte, und selbst als er irgendwann doch seine Hälfte des Geldes aus dem Verkauf der Wohnung für Geschenke für seine Liebe ausgab, hatte er nichts mehr und kein Obdach. Und seine Verwandten hatten nicht vor, ihm zu helfen, denn auch sie hatten kein Geld, um ihm wenigstens eine Rückfahrt zu ermöglichen…
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