Zufälliger Anruf

Zufälliger Anruf

Ein zufälliger Anruf

— Paul Werner? — Die Stimme am Telefon war kühl und förmlich.
— Ja, hier ist Paul Werner. Mit wem spreche ich?
— Hier ist die Leiterin des Kinderheims. In einer Woche wird Ihre Tochter drei Jahre alt, und wir müssen sie in eine andere Einrichtung verlegen. Werden Sie sie wirklich nicht abholen?
— Moment mal, welches Kind? Wessen Tochter? Ich habe einen Sohn, Max! — stammelte ich geschockt.
— Monika Paulina Semmler. Ist das nicht Ihre Tochter?
— N-nein, nicht meine. Ich heiße Werner. Paul Werner!
— Entschuldigung — die Stimme klang müde —, da muss es ein Missverständnis geben.

Das anschließende Freizeichen schlug mir wie ein Alarm in den Ohren.

„Zum Teufel!“, ärgerte ich mich. „Eine Tochter, ein kleines Mädchen! Was für ein Chaos haben die denn in ihren Unterlagen?!“

Doch der Anruf blieb wie ein Dorn in meinem Herzen stecken. Ich fragte mich, wie es Kindern ohne Zuhause wohl ergeht — ohne eine warmherzige Mutter, einen fürsorglichen Vater, ohne Omas, die sich kümmern. Max hatte all das, sogar Tanten und Onkel von beiden Seiten…

Meine Frau Lena bemerkte sofort, dass ich abwesend war. Kein Wunder, wir sind seit fast zehn Jahren verheiratet und kennen uns seit der Grundschule. Beim Abendessen fragte sie mich direkt, was mit mir los sei.

— Wie heißt sie denn? — fragte sie.
— Wen? — Ich war verwirrt. „Woher weiß sie von dem Mädchen? Hat sie auch einen Anruf bekommen?“
— Monika — antwortete ich. — Moni.
— Ach, Moni, ja? Ich bin deine Lena, und sie ist jetzt Moni?! — Ihre Stimme wurde schärfer.
— Ja, Monika Paulina Semmler.
— Sag mir doch gleich ihre Personalausweisnummer! — schrie Lena.
— Die hat sie doch gar nicht, wozu auch?
— Ist sie etwa eine Flüchtling? — fauchte sie.
— Wer? — Ich verstand gar nichts mehr.
— Deine Moni! Will sie sich bei uns eintragen lassen? Heraus damit!
— Was soll ich denn sagen?! — Ich saß da, völlig verwirrt, das Essen vergessen.

Dann fing Lena an zu weinen. Nicht dramatisch, aber mit bitteren Tränen, die auf ihre Schürze tropften.

— Morgen fahre ich zu meiner Mutter. Und denk ja nicht, dass du Max bekommst! — schluchzte sie.
— Lena, was ist denn los? Warum zur Mutter?
— Glaubst du, ich diene dir und deiner Geliebten, dieser Moni? — fuhr sie mich an.

Langsam begriff ich die Absurdität der Situation. Ich nahm sie bei den Schultern, setzte sie auf die Küchenbank und erzählte ihr von dem Anruf.

Plötzlich weinte Lena aus Mitleid mit dem Mädchen. Frauen haben eben viele Tränen, und sie fließen für jeden Anlass! Ich kann sie nicht ertragen, besonders nicht Lenas Tränen.

Nach diesem Wirbel hatte ich keinen Appetit mehr und aß nur ein wenig.

…Ich wachte auf, weil Lena neben mir stand und in meinem Telefon herumwühlte! In zehn Jahren Ehe hatte sie das noch nie getan. Sie suchte nach Beweisen für eine Affäre. Das Misstrauen tat weh.

— Paaaul, Paaaul… — flüsterte sie und stupste mich sanft.
Ich tat, als wäre ich gerade erst aufgewacht.
— Paaaul, war es diese Nummer, die Festnetznummer?
— Ja — antwortete ich automatisch —, die.

Lena verließ das Schlafzimmer und nahm mein Handy mit.

Leicht gesagt — schlaf jetzt! Ich hörte, wie der Computer hochfuhr. Minuten später schlich ich ins Wohnzimmer.

Lena klickte hastig und bemerkte mich nicht hinter ihr.
In der Suchleiste stand: „Kinderheim“ und unser Ort.

Der Computer zeigte die Adresse, Telefonnummer und sogar ein Foto des Gebäudes.
— Paul, es stimmt!
— Was?
— Die Nummer! Sie gehört zum Kinderheim!
— Das habe ich doch gesagt. Und du hast mich überprüft?
Sie drehte sich um.
— Nicht überprüft, sondern nachgeschaut.
— Warum?
— Paul, das Heim ist ganz in der Nähe — sagte sie nachdenklich. — Sollen wir mal hinfahren? Woher haben sie deine Nummer, wenn du nichts mit dem Mädchen zu tun hast?

Darüber hatte ich nicht nachgedacht. Vielleicht sollten wir wirklich nachschauen.

In dieser Nacht konnte ich kaum schlafen. Gerade als ich einschlummerte, stupste Lena mich wieder an.

— Paaaul… Paaaul…
— Was denn jetzt?
— Bist du dir sicher, dass da nie was war? Vielleicht ein Mal… aus Versehen… mit einer alten Liebe? Vielleicht hast du sie getroffen, die Gefühle kamen wieder, und sie hat dir nichts gesagt?
— Welche Liebe, Lena??? Seit der ersten Klasse sitze ich — nein, liege ich — nur mit dir zusammen! Vor vier Jahren ging Max in den Kindergarten, war ständig krank, du warst wieder arbeiten, wer hat sich gekümmert? Ich! Medikamente, Arztbesuche — was für Affären?

Doch die Frage ließ mich nicht los. Woher hatten sie meine Nummer?

Am nächsten Morgen fuhren wir zum Kinderheim. Vor dem Büro der Leiterin saß ein blasser, zitternder Mann.

— Sie kommen nach mir — brummte er mit unerwartet tiefer Stimme.

Nach 15 Minuten verließ er aufgeregt den Raum, und wir wurden hereingebeten.

Eine dunkelhaarige Frau stand am Fenster.

— Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?
— Wegen des Anrufs — versuchte ich scherzhaft.
Sie setzte sich.

— Ich habe wenig Zeit für Rätsel. Bitte kommen Sie zur Sache.

Ich erklärte den Anruf, und sie erinnerte sich.

— Ach ja… Ein Zahlendreher. Die Nummer beginnt mit 927, ich wählte 937. Dass Sie auch Paul Werner heißen — Zufall. Der richtige Vater war vor Ihnen hier.
— Wer? — fragte ich, obwohl ich es wusste.
— Paul Werner Semmler, der Vater des Mädchens.

Sie stand auf. Auf ihrem Namensschild stand „Theresia Schmidt“.

Lena fragte:

— Theresia, holt er das Mädchen ab?
Die Leiterin seufzte.

— Nein. Die Mutter ist tot, und dieser Paul Werner hat sieben Kinder von verschiedenen Frauen. Er war nur zweimal hier. Monika braucht er nicht.

Wir verließen das Gebäude, geschockt.

Die Kinder spielten still im Hof. Kein Lachen, kein Geschrei — nur leises Reden. Sie wirkten wie kleine Erwachsene.

Plötzlich rief eine Stimme: „Mama!“

Ein Mädchen mit einer lustigen Pomponmütze rannte auf Lena zu und umklammerte ihr Bein.

— Moni, Monika! — Eine Erzieherin versuchte sie zu lösen, doch das Mädchen wehrte sich.

Schließlich lockte die Erzieherin sie mit Schokolade weg, und wir verließen schnell das Gelände.

Im Auto herrschte Schweigen. Meine Hände zitterten wie die des anderen Paul.

Dann sahen wir ein Schild: „Spielzeugladen“.

Ohne ein Wort stiegen wir aus, gingen hinein — und kauften ein rosa Kleid und eine Puppe.

Unsere Tochter Moni soll die Schönste sein!


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